Wie ein Bewerber garantiert einen Personaler verärgert?
Um es gleich vorab zu sagen: Wenn Sie einen Personaler auf die Nerven gehen wollen, dann empfiehlt sich:
A) die Zusendung einer Bewerbungsmappe, die im Falle der Rücksendung, in kein Standardkuvert passt;
B) eine der modernen dreiteiligen Flügelmappen mit Klemmschiene, bei deren Nutzung einem immer wieder die losen Blätter entgegenfliegen; Personaler ersparen sich den Frust mit dem Reinpfriemeln, wenn sie die herausgefallenen Blätter einfach in die Mappe lose zurücklegen.
C) die Emailbewerbung so zu formatieren, dass der Empfänger erst mal minutenlang mit der Bearbeitung beschäftigt ist.

Das sind so die Klassiker, wie man sich den ersten Eindruck – für den es bekanntlich keine zweite Chance gibt – unnötig verscherzen kann.

Der Normal-Prozess der Vorarbeit in der Bewerberauswahl ist mehrstufig
Die Bewerbervorauswahl ist – wie so vieles in der Personalpolitik und im –management, zum Geringsten das, was man eine exakte Wissenschaft nennen könnte.

Wird eine Bewerbung drei Personalern vorgelegt, können diese problemlos zu drei völlig unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Das ist so, weil jeder andere Prioritäten setzt und Menschen nun mal nicht mit drei Stellen hinter dem Komma beurteilt werden können.
In allen Fällen sollte grundsätzlich eine Wertschätzung gegenüber jedem Bewerber bestehen. Jeder Mensch hat seine Aufgabe im Leben und Talente dafür. Die Frage ist doch hier nur, ob ein Bewerber mit seinen jeweiligen Talenten und Fähigkeiten zu uns passt, die wir einen Auftrag als potenzieller Arbeitgeber zu übertragen haben.

Phase I: Der erste Eindruck
Damit ist es der Normalfall, wenn ein dominanter Blick für den ersten Eindruck z.B. entweder dem Anschreiben, der Gliederung und Struktur, der Stringenz und Lückenlosigkeit, der Zahl der Wechsel und der Verweildauer in Folge, oder der Wirkung des Passbildes und/oder der Unterschrift gilt.
Wo dieser Blick auch hinfallen mag, finden sich Kriterien für eine Beurteilung der Papierlage.
Faustformel um Fettnäpfchen aus dem Wege zu gehen:
1. auffallen um jeden Preis kann eine Strategie sein, aber nicht immer sind die gewählten grafischen Elemente ästhetisch und sinnvoll, und nicht immer ist die Position eines Designers oder Grafikers zu besetzen(!);
2. Selbstbewusstsein ist gut, muss aber nicht unbedingt mit (mehrperspektivischen) Portraitfotos anstelle von wohlproportionierten Passbildern dokumentiert werden;
3. versuchen Sie es mit einem Anschreiben auf einer DIN A4-Seite, das hilft die Gedanken zu fokussieren und bleibt für den Personaler noch lesbar;
4. eine gut strukturierte Vita, die einer inneren Logik folgt, benötigt keine Bedienungsanleitung um sich darin zurechtzufinden;
5. wer etwas von sich zu erzählen weiß aus seinem Berufsleben, der mag dies außerhalb des Lebenslaufes auf einem (!) gesonderten Blatt Papier tun, das den Titel Kompetenzprofil tragen kann;
6. ein Inhaltsverzeichnis für Anlagen, insbesondere, wenn es die Vollständigkeit der Unterlagen dokumentiert, kann nützlich sein;

Phase II: Abgleich Anforderungsprofil und Qualifikationsprofil
Abgleich des Anforderungsprofils auf die zu besetzende Position mit dem individuellen Qualifikationsprofil des Bewerbers.
1. Schul- und Berufsausbildung / theoretische Qualifikation
2. berufliche Fort- und Weiterbildung
3. fachliche Kompetenz / Berufserfahrung
4. methodische Kompetenz
5. persönliche und soziale Kompetenz (Softfacts)

Mein Erfolgsrezept bei der Personalauswahl
Erfolgsrezepte gibt es deren viele. Hier die Erfahrungen des Autors basierend auf über 20 Jahren Berufspraxis im Personalrekruting. Mit der Länge der beruflichen Zeitachse verblasst die Einstiegsqualifikation ins Berufsleben und wächst die Bedeutung des Geleisteten.
Ein Bewerber, den wir hier gedanklich der Metapher eines Buches gleichsetzen wollen, fasziniert und überzeugt, wenn er (m/w):
– mit 20+ den Glamour eines schönen Einbandes verströmt und der Titel sowie der erste Satz passen;
– mit 30+ eine gelungene Story des Anfangskapitels fesselt;
– mit 40+ der Spannungsbogen in Bann zieht;
– mit 50+ die Sentenzen des Buches zum respektvollen Bonmot gereichen und
– mit 60+ die Weisheit des Buches eine Botschaft lehrt, die letztlich für sich spricht und gerne weitergetragen wird.

Homogen oder heterogen – das ist hier die Grundsatzfrage

Ohne Menschenkenntnis wird’s mit der Bewerberauswahl nichts. Das beginnt schon mit einer guten Portion Einfühlungsvermögen (Empathie), die bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen beginnt und im Bewerbungsgespräch mit den richtigen Fragen ihre Verlängerung findet. Unterschiedliche Funktionen, benötigen unterschiedliche Menschen.

Es mag durchaus dem Gleichklang und einer Art von Harmonie dienen, wenn Sie Menschen einstellen, die irgendwie alle so sind wie Sie oder ein Ableger vom Chef (homosoziale Reproduktion). Die Frage, die sich dann stellt, ob wirklich alles gut durchdacht ist, wenn es an Heterogenität von Denk- und Verhaltensweisen fehlt.

Hochleistungsteams, die immer auch innovativ sind, benötigen einen anderen Cocktail an Denkstilen, der heterogen ist, dafür aber auch in besonderer Weise der Führungskompetenz bedarf.

Fatale Fehler von Personalern in Unternehmen
Kluge Prozesse und Know-how erleichtern den Recruitingprozess; der Besetzungserfolg hängt aber von vielen weiteren Faktoren ab.

Der vielzitierte demographische Wandel ist längst spürbar und macht so manche Suche nach Ingenieuren zur Qual. Viermalige Schaltungen von Stellenanzeigen ohne den passenden Treffer scheinen ebenso normal zu sein wie knapp sechsstellige Kosten für die vergebliche kombinierte Suche (Stellenanzeige + Headhunter) für Topspezialisten in Führungspositionen.

Aber selbst wer die passende Bewerbung vor sich liegen hat, kann noch Fehler begehen:
1. zu lange Bearbeitungszeiten (Faustformel für den Erfolg: eine Woche);
2. den Prozess verzögernde und behindernde Suche nach weiteren Bewerbern der engeren Wahl, um vergleichen zu können, aufgrund von Unsicherheiten und fehlender Entscheidungskraft;
3. Unkenntnis über Instrumente der Vorauswahl (z.B. zweites Interview, Arbeitsproben/Auskünfte/Referenzen, etc.);
4. abschreckendes Bewerbungsinterviews; etc.

Autor: Norbert W. Schätzlein

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