Mobbing – jeder hat davon (zumindest) gehört

Die berufliche Laufbahn muss nur zeitlich lange genug dauern, bis jeder einmal direkt oder indirekt auf Mobbing aufmerksam geworden ist. Gemobbt wird, wer nach Umfang und Dauer schikaniert, beschimpf wird, von Unterlassungen in der Informationsweitergabe betroffen ist, regelmäßig Aufgaben übertragen bekommt, die als unangenehm bzw. unbewältigbar angesehen werden können. Niemand sollte je diese Erfahrung, nämlich gemobbt zu werden, am eigenen Leibe verspüren. Ausgegrenzt zu werden tut weh, sehr weh, so dass psychosomatische Konsequenzen nicht ausbleiben. Auch ist es nicht einfach die Vorfälle mittels Mobbingtagebuch zu dokumentieren. Ein aufrechter Mensch tut sich auch damit emotional schwer und möchte mobbingrelevante Vorfälle viel lieber vermeiden und sich als sozial kompetent erweisen. Wenn es aber anders nicht geht, muss alles auf den Tisch; schonungslos. Fakten und die Wahrheit haben die Eigenschaft nicht auf Dauer unterdrückt und geleugnet werden zu können.

Aber was ist Bossing?

Mobbing ist kein „Privileg“ auf der Mitarbeiterebene. Auch Chefs können sich des Mittels des „Hinausekelns“ von Mitarbeitern bedienen. Ein noch junger, unerfahrener Apothekenbesitzer in der dritten Generation mit Bezug auf eine langjährige, versierte Mitarbeiterin: „Die weiß mir zu viel, wie’s bei uns hier läuft.“ Die betreffende Mitarbeiterin wurde durch die nicht enden wollenden verbalen und nonverbalen Attacken des Chefs krank und hat schließlich das kleine Unternehmen verlassen. Gerade wenn man eng zusammenarbeiten muss, sind mit Händen zu greifenden Animositäten nicht auf Dauer zu ertragen. Und auch in der Bankenwelt griff schon mal ein Vorstand zum letzten Mittel, weil langjährige Mitarbeiter ansonsten (trägerspezifisch) praktisch unkündbar seien: „Wenn wir jemand gar nicht loswerden können, dann darf man auch keine Skrupel vor Mobbing haben.“ In diesen Fällen, nämlich wenn der psychische Druck vom Chef kommt, nennt man das Bossing.

Mobbing in der dritten Variante: Staffing

Als wären Mobbing und Bossing nicht schon genug, gibt es noch eine weitere Variante des Psychoterrors, nämlich das Staffing. Im Englischen würde man unter „staffing“ die Personalbeschaffung, also das Einstellen von Mitarbeitern und die Positionsbesetzung verstehen; nicht so im deutschen Sprachraum. Hierzulande steht Staffing für die Palette der Bosheiten von Mitarbeitern gegenüber ihrem Vorgesetzen, aber auch – das mag verblüffen, ist aber Tatsache – im Verhältnis zum Firmeninhaber. Die Vorstellung, dass Mitarbeiter und es sind um wirksam zu werden immer mehrere Mitarbeiter, ihren Chef schikanieren, mag verblüffen. Und tatsächlich ist es auch so – wie Studien belegen -, dass Mobbingattacken auf den Vorgesetzten, unter allen Mobbing-Vorfällen, im einstelligen Prozentbereich liegen. Es gibt aber eben Umstände, die Mitarbeitern Motiv und Ursache liefern, diesen Weg zu gehen mit meist sehr ungewissem Ausgang. Heimleitung im Altenheim: „Da haben sich so viele Baustellen angehäuft in der Zeit meines Vorgängers, dass das Aufräumen mit vielen eingeforderten Veränderungen einherging. Zwei Führungskräfte, die sich für unentbehrlich hielten, haben zur Rebellion aufgerufen und haben mir systematisch das Leben schwer gemacht. Der Träger der Einrichtung stand leider nicht hinter mir.“ Und in einem anderen Fall baute der (scheinbar) beste Freund des Inhabers mit weiteren Führungskräften, die sich alle Privilegien versprachen, ein Schattenkabinett auf, das den Unternehmer als unfähig erscheinen ließ. „Ich hätte nie gedacht, dass mich mein bester Freund so systematisch hintergeht, und ich mich jetzt von ihm trennen musste. Würde man im Nachhinein alle Vorfälle im jetzt klaren Kontext zusammenschreiben und als Drehbuch für einen ‚Krimi‘ einreichen, würde er gewiss mit dem Stempel ‚unglaubwürdig‘ versehen, zurückgeschickt werden. – Es ist aber geschehen, und der deutsche Kündigungsschutz tut ein Übriges, solche ‚Giftsprüher‘ und ‚Brunnenvergifter‘ zu schützen.“ Unglaublich, aber wahr!

Wo geht die Reise hin?

Wenn Deutschland eine Zukunft, insbesondere eine der digitalen Art haben will, ohne deutsches Pendant wie Alibaba, Softbank, Amazon, Facebook, Google, YouTube (sehr bedauerlich und wo bleibt hier die EU, die sich doch sonst so gerne einmischt …?), dann finden wir diese in der deutschen Ingenieurskunst. Das Volk der Dichter und Denker hat in den letzten 150 Jahren so manche clevere Idee und Kunststück ersonnen, das zum tragfähigen Geschäftsmodell (Stichwort Hidden Champions) reüssierte. Wir brauchen also tüchtige Mitarbeiter/innen. Wir sollten gut ausbilden/qualifizieren, die Menschen in Unternehmen entwickeln und in einer konstruktiven Unternehmenskultur (out-)performen. Die Ergebnisse der alljährlich stattfindenden Gallup-Engagement-Studie mit relativ konstanter Normalverteilung (www.gallup.de) ist keine Rechtfertigung für ähnliche Verhältnisse im eigenen Unternehmen. Hidden Champions weichen erheblich davon ab, weil sie längst PE als Investment in die Zukunft verstanden haben. Und, es macht ja auch Spaß, einer sinnvollen Arbeit nachzugehen, mit Kollegen/innen an einem Strang und in eine Richtung zu ziehen und schließlich Flow zu erfahren in Kombination mit guter Bezahlung. Die Realität schaut aber ganz anders aus und wird in Corona-Zeiten nochmals verschärft. Bevor wir aber zu Lösungen kommen als Antwort auf die Frage nach der Problemstellung „Staffing“ wollen wir uns hier noch kurz die Gemengelage aus Motiv und Ursachen ansehen, die dazu führen kann, dass wir diese Spezialform des Mobbings hier diskutieren (müssen).

Welche Umstände liegen dem Staffing (meist) zugrunde?

– Aufbau eines Schattenkabinetts, an dessen Ende nur noch einer stört, derjenige nämlich, der zahlt, dem das Unternehmen gehört oder doch zumindest als Geschäftsführer als Organschaft seinen Kopf hinhält und seinen Führungskräften vertraut; das funktioniert mit einem gerüttelten Maß an Täuschung und Hinterlist und Scheingefechten, die einem Hitchcock-Drehbuch würdig wären;

– tatsächliche Führungsschwäche, die Angriffsfläche bietet; das Ganze vielleicht auch vor dem Hintergrund des „bewehrten“ Peter-Prinzips: so lange Beförderung, bis die eigene Unfähigkeit erreicht ist;

– unausgewogener Führungsstil: das Spektrum von autoritärer bis kooperativer Führung wird nicht situativ sinnvoll bespielt (meist liegt das Defizit am Kontinuumsende von autoritär);

– Anmaßung und persönliche Überhöhung der Mitarbeiter, in der Überzeugung alles viel besser zu können (Kompetenzanmaßung); auch in Verbindung mit demonstrierter Abhängigkeit vom Führungsteam (Erpressungsformat);

– Ausnutzung einer Schwächephase hervorgerufen durch private Probleme des Chefs; gegebenenfalls in Verbindung mit der Streuung von Gerüchten.

Wo Schatten fällt, scheint auch Licht – es gibt zu allem eine Lösung

In allen hier untersuchten Fällen und Praxisbeispielen gab es keine sinnvolle Personalentwicklung und wo sie deklariert wurde, stellte sie sich als reiner Etikettenschwindel heraus. Eine solide Personalarbeit ist also unverzichtbar und als Diktum in Stein gemeißelt. Jeder Entscheider sollte es wissen, als Mantra rezitieren und methodisch anzuwenden wissen: Personalentwicklung und Organisationsentwicklung sind immer die zwei Seiten einer Medaille. Beide Aspekte benötigen die gleiche Aufmerksamkeit. Einseitigkeiten hingegen führen zu einer Asymmetrie, die sich im „Organ“-Versagen des Unternehmens niederschlagen. Zum „multiplem Organversagen“ kann es im Weiteren kommen, wenn beides vernachlässigt wird. Dann beginnt die Kriseneskalation, wie im Buch „Kompass der Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung“ (Schätzlein, 2021) u.a. beschrieben. Letztlich ist es die die Unternehmenskultur in toto, die den Unterschied ausmacht. Sie kann sich diffus und zufällig entwickeln, oder bewusst nach Idealen und Werten geformt sein.

Nicht alles ist PE/OE, aber ohne das Duett ist alles nichts

Es erübrigt sich bei vorstehendem Fehlen stimmiger PE hier im Einzelnen noch anzuführen, welche Defizite auf fehlenden Persönlichkeitsprofilen und systemgestützten Mitarbeitergesprächen, Qualifizierungs- und Potenzialentwicklungsprogrammen sowie Wissensbilanzen, etc. ergaben. Der Mangel an PE- und damit Früherkennungsinstrumenten macht es in den obigen Fällen not-wendig auf folgende Maßnahmen zurückzugreifen:

– anlassbezogene Gespräche führen mit dem Ziel des Klärungs- bzw. Schlichtungsversuchs;

– Unternehmensversammlung einberufen zum Zweck die Unternehmenskultur zu thematisieren;

– PE sukzessive nachentwickeln (beginnend mit Unternehmensleitbild, Führungsgrundsätzen, Compliance);

– konsequent Abmahnungen und gegebenenfalls Kündigungen aussprechen;

– weitere Strategien besprechen mit Fachanwalt für Arbeitsrecht;

Am Ende des Tages muss den konstruktiven Akteuren des Unternehmens voll und ganz bewusst sein, dass destruktive, gegen den Spirit des Unternehmens gerichtete Kräfte wie Viren wirken und die Tendenz besitzen sich auszubreiten und die Gemeinschaft schädigen. Hier gilt der allseits bewährte Satz: wehret den Anfängen. Mobbing – egal in welcher Variante – verträgt kein halbherziges, zögerliches Vorgehen. Mobbingopfer – unabhängig auf welcher Hierarchieebene – gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.

Autor: Norbert W. Schätzlein (Kontakt: schaetzlein@siris-systeme.de), PE- und OE-Spezialist, Dozent für strategische Unternehmensführung, Entwickler von nützlichen systemgestützten Helfern I) zur Positionierung von Unternehmen im Lebenszyklus, II) zur Bestimmung der Zukunftsfähigkeit und der Unternehmens-Resilienz, III) für ein multiperspektivisches Persönlichkeitsprofil (in der Bewerberendauswahl, in der PE, incl. Teambildung und Integrationsrunden); IV) ERA-Leistungsentgeltbeurteilung; V) effektive Führung und Status-Verhalten; allen Tools gemeinsam sind: Moments of truth

PS: folgende Fragen besprechen Sie bitte im Falle eines Falles mit Ihrem Rechtsanwalt für Arbeitsrecht:

– Umfang der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (vertreten auch durch den disziplinarischen Vorgesetzten);

– liegt der Beeinträchtigung durch Mobbing die erforderliche Regelmäßigkeit vor (Dauer: halbes Jahr und wöchentliche Vorfälle)?

– entstandene Schäden (psychologische Behandlungen, etc.)?

– Haftung von Führungskraft/Arbeitgeber auch persönlich?

– Pflichtumfang des gemobbten?

PPS: zu „Bullying“ (Tyrannisierung) siehe z.B. https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/bullying/2676

Quellen: https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20121126_OGH0002_009OBA00131_11X0000_000

Bildquelle: Pixabay (bullying)

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