Es ist keine exakte Wissenschaft, jeder kann es sich aneignen (über Kurse oder im jahrelangen Selbststudium), die Anwendung kann offen oder im Verborgenen geschehen und man kann sich auch in bestimmten Kreisen seinen Ruf damit ruinieren. Die Rede ist von der Graphologie und hier insbesondere von der Analyse der – meist höchst individuellen – Unterschrift.
Wie wichtig so ein Instrument sein kann, erschließt sich vielleicht am ehesten über einige Geschichten echter Erfahrungen.
Bei einem Auswahlprozess für die Besetzung einer Vertriebsleiterposition ging es darum den Kandidaten zu identifizieren, der unter anderem mit Schwung und Elan neue Akzente setzt und kontaktfreudig ist. Für einen von zwei Bewerbern wurde die dynamische Unterschrift zum Zünglein an der Waage.
Nach einem Vortrag zum Thema Menschenkenntnis kam ein Unternehmer auf mich zu, der kurz vor dem Abschluss einer Unternehmensbeteiligung stand. Die Due Diligence sei positiv ausgefallen, die Synergien greifbar, lediglich über sein Bauchgefühl zu einer Person im künftigen Gesellschafterkreis sei er sich noch nicht im Klaren. Die kritische Prüfung der Unterschrift ergab Indizien für eine destruktive Haltung der betreffenden Person. Daraufhin fand der Unternehmer einen Weg die Endverhandlung etwas zu verzögern, um noch besser seinen künftigen Kollegen kennenzulernen. Das Ergebnis war die Einstellung der Beteiligungsaktivitäten, worauf es dem Unternehmer schien, dass sein Kollege in spe sein wahres Gesicht gezeigt habe. Das war dann auch die letztendliche Bestätigung, den Deal in letzter Sekunde platzen zu lassen.
Mein persönlich interessantestes Erlebnis war eine Unsicherheit beim Erwerb einer privaten Aktienposition. Soll ich, oder soll ich nicht? Diese Frage stellt sich ja schließlich jeder in dieser Situation und zieht auch schon mal die Fieberkurven von Aktien, also die Chartanalyse zu Rate. – Bekanntermaßen ist es ein Leichtes auf die Homepage von börsennotierten Unternehmen zu gehen und sich die letzten Bilanzen anzusehen. Das ist zum einen von den Fundamentals her interessant und hier findet sich immer auch die Unterschrift des Vorstandes. Doch die Überraschung saß in diesem Fall. Mein Geld Leuten anzuvertrauen, deren Unterschrift völlig inakzeptabel ist, das würde an Selbstbetrug grenzen. Es verging kaum ein Jahr und genau diese Vorstände standen in der öffentlichen Kritik für Strategiefehler. Was bleibt, ist ein gutes Gefühl nicht gekauft zu haben.
Menschen neigen nun mal dazu sich das Leben zu vereinfachen. Was liegt näher als sich vor weitreichenden Entscheidungen, egal ob bei Bewerbungen im Auswahlverfahren oder in den geschilderten Erfahrungsberichten die Informationsbasis zu erweitern. Eine heuristische Methode ist eben der analytische Blick auf die Unterschrift und die Prüfung nach gesetzten Ausschlusskriterien, auch wenn dies Vorgehen nur Näherungswerte liefert.
Vor Absolutsetzungen wird gewarnt! – Jede Form von Ideologisierung ist fehlgeleitete Ordnung auf Kosten des Weiterdenkens (Dürrenmatt). Es greift dann die Kritik von der self-fulfilling prophecy, wonach man das als Ergebnis erhält, was man als Erwartung projiziert.
Wo man sich der Graphologie bedient, sollte sie nie mehr sein als ein Puzzleteil in einem Bild mit vielen Facetten. Der Verstand darf nicht aussetzen.
Am Ende zählt immer eines: der Erfolg gibt Recht und heiligt die Mittel.
Und was sagt Shakespeares Protagonist Hamlet dazu: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich (er)träumen lässt.“
Autor: Norbert W. Schätzlein, www.antaris.biz
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