Ich bin Teil des Arbeitgeber-Images  

Unter dem Schutz einer starken Marke schießt identitätsstiftend so manche Charaktereigenheit ins sprichwörtliche Kraut. Gerade große Unternehmen mit mehreren Tausend Mitarbeitern lassen Charakterschwächen ihrer Mitarbeiter zu und fördern diese sogar. Warum auch nicht, solche Mitarbeiter können und wollen gar nicht anders als das tun, was man ihnen top-down vorschreibt. Dieser Marketingcharakter – wie ihn einst Erich Fromm1) treffend beschrieben hat – trägt Arroganz, Eitelkeit, Überheblichkeit wie eine Standarte vor sich her und zelebriert im Gefolge ein Gebaren, das man andernorts eher von Paradiesvögeln kennt. Exoten eben, die im Mittelstand keine, auch nicht die geringste Chance hätten.

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Ich bin, der ich bin – ein eitler Piefke eben

Elitäre Abteilungsleiter mit den höchsten Fluktuationsquoten im Unternehmen bekommen zum Abschied – 50+ lässt grüßen – ein teures Outplacement, finden sich dann in der „Schein“-Selbstständigkeit wieder und sinnieren über frühere Macht- und Prachtentfaltung. Nichts ist peinlicher.

Wer bin ich, wenn ich nicht mehr bin, der ich war?

Bin ich auch ohne die mächtige Visitenkarte eine Persönlichkeit mit Ausstrahlung im Glanz von Authentizität und Integrität? Oder doch nur ein farbloses, graues, ausrangiertes Etwas, das sich gerne an alte Tage zurückerinnert und nicht müde wird einem Mantra gleich zu predigen, welch toller Hecht es dereinst gewesen sei. Muss ich erkennen, dass die Wertschätzung, die man mir entgegengebracht hat, nur meiner Visitenkarte galt und nicht mir selber? Dann, wenn kein Hahn mehr nach mir kräht, das Handy schweigt und man vergeblich auf die früher so lästigen Emails hofft.

Ich denke

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darüber nach, wer ich hätte sein können

In Anlehnung an den berühmten Aufklärungsphilosophen René Descartes und dessen Motto: „Ich denke, also bin ich“2) kommt es gelegentlich zu Reflexionen jener Spezies im Tenor, von was wäre gewesen, wenn ich dies und jenes anders entschieden hätte, mit einem Hauch von Demut gewirkt hätte. Gleichwohl solche schwachen Gemütsanwandlungen halten sich in Grenzen, zumal das Kartenhaus der Lebensbilanz des Images zusammen zu brechen droht. „Image ist das, was man braucht, damit andere glauben das man ist, was man gerne wär‘“, hat einmal der Kabarettist Erwin Pelzig, alias Frank Markus Barwasser zum Besten gegeben.

Ein fragiles Gebilde von mehr Schein als Sein.

Erkenne dich selbst3)

Und, um die Eingangsfrage nochmals aufzugreifen: Ja, ein Verlust der Visitenkarte führt zum Verlust der beruflichen Identität. Tragisch, wenn da sonst nichts ist.

Autor: Norbert W. Schätzlein

1) Fromm, Erich: Die Kunst des Liebens, 60. Aufl., Berlin: Verlag Ullstein, 1988

2) René Descartes. Cogito ergo sum (eigentl. lat. ego cogito, ergo sum, „Ich denke, also bin ich.“)

3) Aufforderung am Tempeleingang zu Delphi: „Erkenne dich selbst“ (gnôthi seautón, γνῶθι σεαυτόν)

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